Aachen Solar-Balkonkraftwerke sind bei den aktuellen Strompreisen begehrt wie nie. Forscher der RWTH Aachen entwickeln nun günstige Windräder für den privaten Gebrauch, die auch nachts und bei schlechtem Wetter Strom liefern sollen.
In Deutschland sind etwa 30.000 Windenergieanlagen in Betrieb. Die meisten befinden sich an Land, rund 1.500 sind auf dem Meeresgrund installierte Offshore-Windenergieanlagen. Windenergie ist günstiger als jede andere Form der Stromproduktion. Diese Windräder produzieren über 20 Prozent unseres Stroms: Mehr als 110 Terawattstunden Windenergie wurden 2021 in das Netz eingespeist.
Kai-Uwe Schröder, Leiter des Instituts für Strukturmechanik und Leichtbau (SLA) an der RWTH Aachen reicht das noch lange nicht. „Wenn wir bald klimaneutral sein wollen, brauchen wir viel mehr Windenergie“, erklärt der Professor. „Die Technologie ist vorhanden und der politische Wille wohl auch. Was fehlt, ist eine Strategie“, so seine Kritik.
Schröder und seine beiden Doktoranden Tobias Meinert und Jannik Bühring wollen einen Beitrag zur Energiewende leisten. Sie planen eine Windenergieanlage, die jeder auf seinem Dach installieren kann. „Wir möchten eine Windenergieanlage entwickeln, die man wie bei einem Solar-Balkonkraftwerk, ohne große Genehmigung selbst installieren und anschließen kann“, erläutert Meinert. „Wenn jedes Haus eine kleine Windenergieanlage auf dem Dach hätte, wäre bereits der größte Teil des privaten Strombedarfs gedeckt“, sagt Bühring.
Weil die regulären Windräder erst bei höheren Windstärken effektiv seien, setzen sie auf vertikale Windräder. „Ein wichtiger Vorteil der vertikalen Windräder ist, dass die Windrichtung egal ist“, sagt Meinert. „Außerdem gibt es in der Stadt weniger Wind. Aber Thermik, warme Luft, die nach oben steigt, ist auf den Dächern in der Stadt immer vorhanden und die können wir mit dieser Bauart sehr gut nutzen.“
Es gebe zwar schon vertikale Windräder zu kaufen, gesteht Bühring. Doch was auf dem Markt sei, komme meistens aus China, funktioniere nur bei viel Wind, habe eine schlechte Ausbeute und sei nicht sonderlich stabil. Schröder und sein Team denken die Herausforderung daher komplett neu. Sie wollen eine schnelle und einfache Lösung, eine modulare, günstige und nachhaltige Kleinwindkraftanlage (KWA).
Hilfe erhalten sie vom Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen. Hier wurde eine neue Fertigungstechnik entwickelt, mit der sich ein Vlies herstellen lässt, das für die vertikalen Windräder geradezu prädestiniert ist. „Die Basis dieses neuartigen Vlieses sind Kohlefaserreste aus der Automobilindustrie“, beschreibt Schröder. „Die Abfälle werden in einer heißen Presse nur leicht verdichtet, sodass außen ein fester Materialmix aus Fasern und Kunststoff entsteht. In der Mitte bleibt das Material lose vernetzt.“ Die Struktur erinnert an einen Vogelknochen, leicht aber stabil. „Die Produktion ist sehr einfach, unheimlich günstig und extrem leicht“, schwärmt der Professor.
Der neue Nachhaltigkeitsfonds der RWTH Aachen unterstützt nun das Pilotprojekt des SLA-Teams. Sie wollen gleich mehrere modulare Vertikalwindräder auf RWTH-Gebäude installieren, um nachhaltigen Strom zu produzieren. Die Forscher planen mit einem Durchmesser von 1,5 Metern und einer Höhe von 1,6 Metern. Das entspricht dem baurechtlichen Limit, wie sie erklären. Die zukünftige Version für Heimanwendungen soll kleiner und leichter werden.
„Windenergie ist optimal für die RWTH“, weiß Bühring. „Hier laufen Tag und Nacht irgendwelche Geräte und Server. Mit den Windkrafträdern können wir einen Großteil der Grundlast abfedern. Das ist ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll.“ Die Anlagen seien günstig und verbrauchen keine Fläche. Meinert ergänzt: „Wenn das hier funktioniert, dann auch überall dort, wo große Dachflächen sind. Bei Discountern, auf Sporthallen, in der Landwirtschaft. In Aachen gibt es Hunderte ungenutzte Dächer.“
Immer mehr Menschen installieren sich Solar-Balkonkraftwerke. Ein Grund sind sicherlich die hohen Strompreise. Dafür werden Solarmodule am Balkon der Mietwohnung, auf der Garage oder auf dem Dach aufbaut, der mitgelieferte Wechselrichter angeschlossen, dann der Stecker in die Steckdose gesteckt, fertig. „Die Energiequelle Sonnenlicht ist kostenlos und steht uneingeschränkt zur Verfügung – tagsüber“, betont Tobias Meinert.
Bei schlechtem Wetter und Dunkelheit erzeugen Solarzellen keinen Strom, dann weht aber häufig mehr Wind. „Die beiden regenerativen Stromquellen ergänzen sich“, so Meinert. Mit einem eigenen Solar-Balkonkraftwerk und einer Kleinwindkraftanlage kann sich jeder weitestgehend unabhängig machen und ganz einfach eigenen Strom produzieren. Eine solche Kleinwindkraftanlage für den privaten Gebrauch wollen die Forschen nach der Pilotphase auf den RWTH Dächern entwickeln und verkaufen. „Ein Windrad kann nicht die Welt retten“, resümiert Kai-Uwe Schröder, „aber ganz viele kleine Windräder vielleicht“.